Kampf, Flucht, Erstarrung und… der vierte Traumatyp

In meiner Arbeit als ernährungspsychologischer Coach arbeite ich mit Menschen daran, ihre Gesundheit in die eigene Hand zu nehmen. Meine Coachées sind durchweg intelligente und vernünftige Personen, die schon ziemlich belesen und erfahren sind im Bereich Ernährung und gesunder Lebensstil. An Informationen mangelt es heutzutage nicht; was dem Gesundwerden eher im Wege steht (neben Individualisierung), ist das Ausbrechen aus ungesunden Denk- und Verhaltensmustern und tief sitzender und oft verschleierter Körperstress.

Mein Weg führte mich unweigerlich in die Welt des frühkindlichen Traumas, ein Feld, in dem ich mich stets fortbilden lasse, und in dessen Lichte für mich schließlich alles klar wurde. Mir als Biologin geht es dabei weniger um den abstrakten Begriff der “Psyche”, als vielmehr um die Auswirkungen auf unser vegetatives Nervensystem, unsere lebenswichtige automatische Steuerung all unserer Organe.

Das, von dem wir in aller Regel denken, dass es zu unserem “Charakter”, “Wesen” oder “Persönlichkeit” gehört, ist in Wahrheit eine erlernte Anpassungsreaktion, die in unserer Kindheit in Anbetracht der Umstände der beste Kompromiss war, die aber im späteren Leben für Sand im Getriebe sorgen und uns sogar körperlich krank machen kann. Hiermit beschäftigen sich Mind-Body-Therapien und das Feld der Psychoneuroimmunologie.

Schau dir Tiere oder kleine Kinder an: Unter Druck, Stress, Gefahr oder Verfolgung werden sie entweder aufgebracht, wütend und laut und greifen an, oder sie rennen davon, ergreifen die Flucht, vielleicht mit knallenden Türen. Dies ist eine natürliche und gesunde Reaktion, die dem Überleben dient. Ist weder das eine noch das andere möglich, kommt es zum Kollaps, der auch sehr subtil sein kann: Tiere stellen sich tot, der Kreislauf geht runter, ein Mensch senkt den Blick, sinkt in sich zusammen, die Stimme wird leise und monoton oder versagt gänzlich. Oft fühlt man sich wie benebelt und betäubt, die Sinnesreize funktionieren nicht mehr richtig, Erschöpfung und Schwindel macht sich breit, während das System unter höchstem Stress steht.

Häufen sich entsprechende Vorkommnisse in unserem Leben, besonders in der frühen Kindheit, kommt es zu einer entsprechenden epigenetischen Programmierung in unserem vegetativen Nervensystem: Die entsprechende Reaktion wird zu unserem “Default-Mode”, unserer Auto-Reaktion, in die der Körper dann sehr schnell switcht, anstatt dass wir gelassen und souverän eine Situation meistern können. Wichtig ist hierbei wirklich, Stress grundlegend zu verstehen. Man darf hierbei nicht nur an Zwischenmenschliches denken, auch chronisch oder einmal zu heftig mit Toxinen überlastet worden zu sein, mit körperlicher Überanstrengung, mit Medikamenten, mit Nährstoffmängeln, mit den Schmerzen und Symptomen einer Allergie oder Autoimmerkrankung, eine Operation, ein Unfall, all das kann ein Trauma im System hinterlassen.

Wenn zuviel Energie im System ist
Kampf – Flucht – Erstarrung / Fight – Flight -Freeze

Kampf: Wir werden unter Angst und Druck sehr schnell laut, uns platzt der Kragen, sagen schnell Nein, wir werden persönlich, defensiv und argumentativ, leiden unter Kontrollsucht, können schwerlich vertrauen, können Dinge schwer so stehen lassen, wie sie sind.

Flucht: Wir sind sehr getrieben, Workaholics, perfektionistisch, wankelmütig, nervös, schreckhaft, haben Konzentrationsbeschwerden, laufen vor Problemen davon, haben Schwierigkeiten, andere nah an uns ranzulassen, Schwierigkeiten, bei einer Sache zu bleiben und Dinge durchzuziehen , stürzen uns von einem Projekt ins Nächste, immer auf dem Sprung, natürlich mit guten Ausreden (wer kennt es nicht!).

Im Kampf oder Fluchtmodus laufen unsere Organe und Drüsen auf Hochtouren, auch unser Immunsystem schießt über in Erwartung eines Angriffs, wir kriegen Flushs, Verdauungsbeschwerden, Histaminose, neigen zu Fressattacken…

Erstarrung: Wir sinken schnell in uns zusammen, sind passiv, hoffnungslos, versinken in Roman-, Computer- und Netflixwelten, sind sehr still, Blackouts, lassen alles über uns ergehen, gelten vielleicht als faul, bloß um keinen Preis auffallen, erschöpft, unkonzentriert, schlechtes Reaktionsvermögen, unfähig, Entscheidungen zu treffen, initiativlos, keine Genussfähigkeit, unser System läuft insgesamt zu schwach, wir sind infektanfällig…

 

Unterwerfung / Fawn

Und nun möchte ich dir den vierten Modus vorstellen, von dem manche Therapeuten sprechen, dem Unterwerfungsmodus (Englisch: Fawn Response (Fawn = Rehkitz), Begriff geprägt von Pete Walkers, M.A.). Es ist meines Erachtens ein subtiler Ausdruck der Flucht+Erstarrungsresponse, deswegen wirst du diesen Begriff in biologischen Grundlagenbüchern nicht finden. Ich würde diesen Zustand auch als “hochfunktionales Entwicklungstrauma” bezeichnen.

Wie drückt sich die Fawn Response aus?

Du nickst vielleicht zu häufig, wenn du eigentlich Nein lieber sagen würdest, lächelst und lachst mit, wenn du dich eigentlich empören solltest, wenn jemand unsensibel als Scherz kaschierte Beleidigungen austeilt. Du versuchst zu harmonisieren, während du dir auf die Zunge beißt und deine Antwort herunterschluckst, gibst schnell klein bei und gehst auf Kompromisse ein, auf Kosten deiner eigenen Bedürfnisse. Du versuchst es allen Recht zu machen, zeigst dich stets hilfsbereit, giltst vielleicht als “nett” oder “schüchtern”, kannst mit Konflikten schwer umgehen, verkaufst dich stets unter Wert, wirst schnell ausgenutzt, auch ihren emotionalen Müll darf jeder bei dir abladen.

Zu dienen und für Harmonie zu sorgen ist nicht Negatives, im Gegenteil. Es ist ein wichtiger Klebstoff, der unsere Gesellschaft zusammenhält. Doch wie immer kann alles extreme Ausmaße annehmen. Es steckt einfach in unseren Genen, da mit der breiten Masse zu gehen, uns der Mehrheit zu beugen, uns anzupassen. Früher in archaischen Zeiten bedeutete aufzufallen, eine andere Meinung zu haben, oder nicht von Nutzen zu sein im schlimmsten Fall den Ausschluss aus der Gruppe. Und dies bedeutete den Tod. Heute ist dies natürlich nicht mehr so, aber unser Nervensystem weiß dies nicht.

Besonders schlimm ist es dann, wenn Kinder, die völlig schutzlos sind in Bezug auf Suggestionen von außen, nur mit Liebe und Aufmerksamkeit belohnt wurden, wenn sie still, gehorsam, anspruchslos und nützlich waren. Wie oft erleben wir soziale Situationen, die an Mobbing grenzen, wo das betroffene Kind oder die betroffene Kollegin dann noch mitlacht und sich quasi noch selbst die Zielscheibe aufmalt, nur, um ein bisschen Liebe und Zugehörigkeit zu bekommen? Oder jemand wird besonders lobend erwähnt, weil er so bescheiden ist, seine eigenen Bedürfnisse immer zurückstellt und Tag und Nacht für andere da ist. Die Grenzen zur Kodependenz sind hier fließend. Selbst unter Patienten-Therapeuten-Beziehungen kann es hier zu einem ungesunden Ungleichgewicht kommen.

Überlege dir, ob du diese Dinge aus Angst oder aus Liebe und freien Stücken tust.

Die “Rehkitze” unter uns sind Menschen, die besonders feinfühlig sind, empathisch, sensibel, aber auch hochsensitiv. Eine Struktur im unterbewussten Teil unseres Gehirns, die Amygdala (zusammen mit dem Thalamus), ist besonders scharf eingestellt und zeigt erhöhte Synapsenbildung, was diese Individuen verstärkt vor den Stimmungen ihrer Mitmenschen warnen und entsprechende Anpassungsreaktionen hervorrufen soll. Durch meine Arbeit als Soundtherapeutin ist mir erst so richtig klar geworden, wie schnell uns diese feinen Hinweise von außen, die Stimmlage, Gestik, Veränderungen in Mimik, Körperhaltung, etc. unser Unterbewusstsein (ich nehme es mittlerweile auch sehr bewusst wahr) in einen Alarmzustand versetzen können. Leider erhöht dies auch die Reaktion auf andere sensorische Reize, wie Geräusche, Licht, Gerüche, Berührung, Nahrungsmittelbestandteile, elektromagnetische Reize… Gewisse angelernte Verhaltensweisen wie Helfersyndrom erhöhen unser Risiko für einen Burn-Out. Wie laufen in Gefahr, chronische Gesundheitsprobleme zu entwickeln.


Mensch Doro, wirst du jetzt vielleicht sagen, ist denn jetzt alles Trauma?

Was soll ich sagen, wir leben in einer Zeit, in der sich die Belastungen häufen auf eine Art, die in der Geschichte der Menschheit einzigartig ist. Schau dir nur den Gesamtzustand unseres Planeten an. Wie immer: Es ist ein Spektrum. Im Zwischenmenschlichen und im tagtäglichen Überlebenskampf wird es nie ohne Beulen und Kratzer und Kompromisse vonstatten gehen. Alle diese Verhaltensweisen haben ihre Wichtigkeit und Situationen, in denen sie absolut legitim sind.

Wen ich hier ansprechen möchte, sind Menschen, die merken, dass es zu extreme Ausmaße angenommen, sie mit Sand im Getriebe laufen, die ahnen, dass alles viel einfacher und unbeschwerlicher sein könnte, deren Symptome sie deutlich daran hindert, den Moment zu genießen und ihre Träume zu verwirklichen.

Ich z.B. musste auch über Jahre an mir arbeiten, um endlich in der Lage zu sein, unbeschwert, mit Freude und Erfolg Workshops und Vorträge abhalten zu können, und das vor allem, ohne hinterher für Tage von Erschöpfung, Verdauungs- und Hautproblemen und anderen Symptomen erhöhter Mastzellaktivierung geplagt zu sein. Früher war auch mit Fremden zu telefonieren für mich unmöglich, heute macht es (neben dem Schreiben) den Hauptbestandteil meiner Arbeit aus! Endlich kann ich die Welt bereisen, und wieviel harmonischer es mit meiner Familie und in meiner Ehe geworden ist. Ich kann mich ausdehnen, vorwärtsstreben, mir etwas aufbauen, der Welt meine Gaben zur Verfügung stellen, UND erlebe gleichzeitig, wie ich gesünder und stärker werde, während ich früher für alles immer einen hohen gesundheitlichen Preis bezahlen musste. Ich bin nicht “geheilt” von diesen Verhaltensweisen, aber ich merke, dass ich eine immer größere und größere Wahl bekomme und immer freier entscheiden kann, ob ich zu etwas Ja oder Nein sage.

Wenn du eine fundierte Grundausbildung in diesem Bereich haben möchtest und die Biologie dahinter auf anschauliche Weise verstehen möchtest, lege ich dir meinen Videokurs (+zahlreichem Zusatzmaterial) ans Herz, in dem auch mein ganzes Herzblut steckt:

Die Biologie & Philosophie des Gesundwerdens

Die Lösung ist weder, ins Gegenteil zu verschlagen, noch zu versuchen, unsere Mitmenschen zu ändern. Veränderung beginnt immer bei uns selbst. Möchtest du lernen, dich auf sanfte und sensible Art zu schützen, aber auch mehr zu erden und zu stärken, sodass du mehr ruhig im Moment verbleiben kannst, statt aus einem erlernten Stressmodus heraus zu agieren? Hier findest du das, was sich wirklich für mich und meine Klienten über all die Jahre bewährt hat (empfohlen ist die Durchführung in der hier präsentierten Reihenfolge):

Neurosensorische Körperübungen zur Verbesserung der Resilienz und Selbstregulation

Immunsystemvisualisationen Audios

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