Ich, der Autist

Ich bin Asperger-Autist, oder Aspie, wie Betroffene sich gerne bezeichnen. Ich habe es eigentlich schon immer gewusst, dass ich „anders“ bin als andere, aber was bringt es einem, es zu ahnen, das einzige was zählt, ist irgendwie durchs Leben zu kommen, zu funktionieren und sich anzupassen. Aufzufallen ist tödlich, hatte ich schnell gelernt, als ich ans Gymnasium kam und bald zum Opfer strategischen Mobbings wurde, weil ich mich als Klassenbeste hervorgetan hatte. Die neue Strategie, unsichtbar zu werden, funktionierte hervorragend. Doch auch so hatte ich oftmals das Gefühl, dass das Leben für mich irgendwie schwieriger zu sein schien, als es bei anderen den Anschein hatte. Es fing damit an, dass ich ein extrem ängstliches Kind war. Regelrecht labil. Situationen, die meine anderthalb Jahre jüngere Schwester völlig ruhig bleiben ließen, lösten in mir regelrechte Panikattacken aus. Am lebhaftesten ist mir eine Begebenheit in Erinnerung geblieben, bei der wir mit der ganzen Familie mit unserem VW-Bus in die Waschanlage fuhren. Die Innenverkleidung hatte so ein Muster mit regelmäßigen Löchern in der Decke des Autos und ich bekam die Panik, dass durch die Löcher Wasser eindringen und wir alle ertrinken würden. Meine Mutter löste die Situation sehr geschickt, indem sie kurzerhand einen Regenschirm aufspannte. Auch ansonsten könnte man mich als ein höchst sensibles Kind bezeichnen. Eine leichte Erkrankung meines Meerschweinchens (oder auch nur ein bevorstehendes Krallenschneiden-Lassen-Müssen beim Tierarzt) sorgte für schlaflose Nächte und Alpträume. Die übertriebene Sorge um meine Tiere legte sich erst nach einem Praktikum beim Tierarzt im Alter von 15 Jahren etwas, aber ich erinnere mich auch an einen Tierarztbesuch im Alter von 24, zu dem mich Patrick ins eine Stunde entfernte Wiesbaden mit drei Eimern mit meinen Axolotln drin fahren musste, weil ich mir das Fahren in einer Stadt nicht zutraute und ich alleine schon vor Angst, sie würden allesamt sterben müssen, fast zusammenbrach.

Träume. Ja, auch so ein Thema. Lebhaft wäre zu milde ausgedrückt für meine Träume. Ich erschuf mir eigene Welten. Meine Träume waren unglaublich klar, ich erinnerte mich an jedes Detail. Oft verarbeite ich Film- und Romanhandlungen in meinen Träumen, aber auch die Schlagzeile einer Zeitung konnte schon Anlass für einen wilden Traum werden, Begebenheiten aus der Realität waren extrem selten das Thema. Und wenn, dann handelte es sich in der Regel um starke Alpträume, meist Verarbeitung von Verlustängsten. Meistens war ich auch nicht „ich“ in diesen Träumen sondern irgendein Held (ja, meistens männlich) in einer ziemlich abgefahrenen und actionreichen Handlung. Doch teilweise auch ziemlich durchtrieben und brutal. Auch in Bezug auf Filme war ich übersensibel, ich konnte mir die meisten Filme erst mit deutlicher Überschreitung der FSK zumuten. Je mehr ich von einem Film zu verarbeiten hatte, desto länger dauerte es, bis ich ihn in eine Traumhandlung verwob (mein Rekord liegt bei 2 Jahren). Horror- und Kriegsfilme sind bis heute nichts für mich und ich versuche Filme mit FSK 18 zu vermeiden.

Interessant dürfte noch zu erwähnen sein, dass ich im Grundschulalter eine mehrmonatige Episode hatte, in der ich jede Nacht um die gleiche Uhrzeit schlafwandelte. Im Abituralter gelang mir das Erlernen des luziden Träumens (ich habe schon immer gerne mit mir selbst experimentiert), der Stress des Abiturs bescherte mir allerdings eine Phase, in der ich fast jeden Tag eine Schlafparalyse erlitt, einhergehend mit akustischen und visuellen Halluzinationen.

Im Kindergartenalter, so erinnere ich mich, musste ich einige Zeit regelmäßig zur Logopädin gehen, weil ich lispelte oder ähnliches.

So ungesellig bin ich eigentlich gar nicht gewesen als Kind. Ich hatte zwei, drei gute Freundinnen, ansonsten war ich hauptsächlich mit meinem zwei Jahre älteren Bruder unterwegs. Er nahm mich oft mit zu seinen Kumpels und war sehr stolz auf mich, wenn ich sie auf Lan-Partys beim Computerspielen schlug. Ich habe mich später allerdings oft gewundert, wie jemand, der mit vier Geschwistern aufgewachsen ist, solche Probleme haben kann, auf andere Menschen zuzugehen. Viel lieber als mit Menschen umgab ich mich mit Tieren. Ich fühlte mich zu jedem Pferd auf einer Weide, aber auch zu jeder Raupe, jedem Käfer und Schmetterling hingezogen. Zahllose Schnecken und Regenwürmer wurden durch meine Hand vom Überfahren- oder Zertrampelt-Werden gerettet.

Doch nicht nur das Lebendige wurde von mir mit allergrößter Fürsorge behandelt. Ich hatte eine regelrechte Messiephase, in der ich alles Mögliche zu sammeln begann bzw. nicht mehr in der Lage war, etwas wegzuwerfen, weil ich dafür zu großes Mitleid empfand. Jeder Bierdeckel, jede Verpackung, zusammengeschrumpelte Luftballons, Blätter, Steine, Scherben, Bleistiftstummel… alles musste ich retten und versorgen und baute dafür eine „Gehege“ in meinem Zimmer. Ein geplatzter Luftballon konnte mich für Tage in eine tiefe Trauer versetzen.

Das schlimmste Ausmaß nahm die Übersensibilität in Bezug auf Geräusche an. Die Phase, in der wir zu viert in einem Zimmer schlafen mussten als Kinder, war grässlich für mich, das Atmen meiner Geschwister hielt mich nachts wach, gemeinsame Mahlzeiten waren die reinste Folter für mich, da ich die Essgeräusche kaum ertragen konnte. Mein eigenes Zimmer bekam ich im Erdgeschoss unter der stark frequentierten Küche, wo ich es phasenweise nur mit Gehörschutz aushalten konnte und mich zum Hausaufgaben machen in den Keller oder auf den Balkon zurückzog.

Die hohe Sensibilität und mein analytischer Geist brachten aber auch andere Seiten von mir ans Licht. So bin ich als Künstlerseele geboren worden. Ich begann zu zeichnen, noch bevor ich richtig laufen konnte. Alles musste ich in Bildern verarbeiten. Im Grundschulalter erhielt ich meine erste einfache Kamera, mit der ich alles festhielt, jedes kleinste Detail, das nur ich sehen konnte und das mir wichtig war. In Bezug auf das Zeichnen wurde ich extrem produktiv, ich entwarf detaillierte Reiterhöfe, aber auch ganze Fantasywelten, außerdem Comics mit tierischen Helden.

Mit fortschreitendem Alter begann irgendwie alles immer anstrengender und anstrengender zu werden. Ich war an einer sehr großen Schule, die mich einfach überwältigte und viel zu laut war. Darüber hinaus war sie mit PCB und anderen Dingen belastet… Das ganze System ist einfach nicht richtig für einen hochsensiblen Menschen, ich war extrem still, erhielt immer schlechtere mündliche Noten, während ich die besten Klausuren schrieb, und kam immer mental und körperlich vollkommen ausgelaugt nach Hause. Ich schlief regelmäßig bei den Hausaufgaben ein. Mit der Zeit kamen starke Konzentrationsprobleme hinzu, Blackouts bei mündlichen Prüfungen und Referaten waren schon fast normal für mich. Die Neurodermitis blieb eigentlich immer auf einem konstanten Level, allerdings kam jetzt auch nach das Asthma hinzu.

Lies hier über den Zusammenhang zwischen kognitven und allergischen Erkrankungen.

Wieder zeigten sich meine Probleme, mich auf neue, unbekannte oder unvorhergesehene Situationen einzustellen. Jegliche Abweichung vom ursprünglichen Plan versetzte mich in eine stille Panik und Wut. Nach meinem Abitur erlitt ich einen Burnout, erst ein Jahr später zog ich für mein Illustrationsstudium von Zuhause aus. An der Kunstakademie fühlte ich mich sehr wohl und unter Gleichgesinnten, alles sehr sensible und ruhige, aber auch sehr begabte Menschen. Das Alleine Leben war eine Herausforderung. So sehr ich mir die Ruhe einer eigenen Wohnung gewünscht hatte, so schwer fiel mir, mich mit all dem Neuen auseinanderzusetzen. Es kostete mich z.B. viel Kraft, einen unbekannten Supermarkt das erste Mal zu betreten. Die neuen Eindrücke ermüdeten mich extrem. Es war, als würde alles ungefiltert in meinen tiefsten Kern eindringen, ohne dass ich den geringsten Schutz dagegen aufbringen konnte.

Welche weiteren Symptome waren oder sind für mich typisch? Ich hatte immer ein Problem damit, Witze, Ironie oder Sarkasmus zu verstehen. Oder die Bedeutung von Sprichwörtern. Mich hinters Licht zu führen war keine große Herausforderung, denn ich nahm alles wörtlich.

Große Probleme bereiten mir Umgebungen mit konstantem, wenn auch leisem, Hintergrundlärm, wie das Summen eines Ventilators. Gesprochenes herauszufiltern wird dann für mich zu einer großen Herausforderung.

Diese Therapie, die man inzwischen auch von zuhause aus über eine App anwenden kann und über mich beziehen kann seit 2019, hat hier mein Leben verändert.

Schnell merkte ich, dass ich meine Tageshöchstform erreiche, sobald es draußen dunkel wird und ein Großteil der ablenkenden Eindrücke ausgeschaltet werden. Deswegen bevorzuge ich die dunklen und ruhigen spätabendlichen Stunden zum Arbeiten. Ich habe ein seltsames Problem mit Gesichtern. Zum einen scheine ich ein fotografisches Gedächtnis zu haben, und erkenne Personen auf der Straße wieder, die ich anderswo schon einmal gesehen habe, wie eine Kassiererin oder Krankenschwester und zermartere mir dann den Kopf, woher ich die Person kenne. Ich habe solche Leute dann auch schon mal gegrüßt, weil ich dachte, wir würden uns kennen… Gleichzeitig habe ich aber auch ein Problem mit Gesichtern und kann zwei einigermaßen ähnliche Personen nicht auseinanderhalten. Oftmals sorgt das dafür, dass ich der Handlung eines Spielfilmes ab einer gewissen Stelle nicht mehr folgen kann oder das krasseste, was ich hatte war, dass ich drei verschiedene Frauen, die sich leicht ähnlich waren (vor allem von der Frisur her und der Tatsache, dass ich sie aus der Reiterszene kenne) zu einer einzigen Person zusammengepackt habe. Mit zwei Personen passiert mir das regelmäßig.

Ein weiteres Problem von mir war immer meine unglaubliche körperliche Ungeschicktheit. Ich war immer steif und ungelenk und regelrecht unkoordiniert, als ob mir der rechte Bezug zu meinem Körper fehlte. Manchmal war es, als hätte ich nicht die blasseste Vorstellung von der Länge meiner Arme oder Beine, weswegen ich regelmäßig etwas umstieß oder irgendwo gegenrempelte. Außerdem fühlten sich Berührungen, zumindest, wenn sie unvorhersehbar kamen oder von jemandem, dem ich nicht extrem vertraue, teilweise wie ein elektrischer Schlag an, einfach nur unangenehm. An manchen Tagen fühlte sich meine gesamte Haut so überempfindlich an, dass ich nur auf dicken Socken und auf Zehenspitzen durch die Wohnung laufen konnte. Dann noch diverse Zwangshandlungen, die ich wiederholen musste, Dinge zählen oder parallel ordnen, besonders, wenn ich sehr aufgewühlt oder nervös war. Ein großes Problem war auch die Schwierigkeit, anderen bei Gesprächen in die Augen zu sehen. Ich empfinde es auch heute manchmal noch als mental anstrengend und bei manchen Menschen ist es regelrecht unangenehm. Das Problem ist, dass man dadurch weniger ernst genommen wird oder sogar als unehrlich rüber kommt. Im Allgemeinen sind soziale Interaktionen sehr auslaugend für mich. Mich an Gesprächen in größeren Gruppen zu beteiligen ist extrem schwierig, dagegen genieße ich Konversationen zu zweit.

Mein größtes Problem war, dass ich mit mir selbst nicht klar kam. Ich war sehr ungeduldig mit mir selbst, da ich so zerstreut, tollpatschig, langsam, unflexibel und ängstlich war. Jeder normale Mensch kam doch klar, warum ich nicht! Es erwuchs ein regelrechter Selbsthass daraus. Und dann diese Dünnhäutigkeit, dass mich alles emotional so tief berührte und aus dem Gleichgewicht brachte. Ich identifizierte mich stark mit dem kleinen Hanno Buddenbrook, den ein Gedicht, das er rezitieren musste, zu Tränen trieb.

Auch für meine Beziehung wurde es zunehmend belastend. Je mehr ich von einer Situation überfordert war, desto mehr zog ich mich in mein Innerstes zurück, bis hin zu einer Art komplettem Systemabsturz, in dem ich nicht mehr sprechen oder mich rühren konnte. Meine analytische Seite kam immer extremer zum Vorschein, während in meinem Inneren die heftigsten Gefühle tobten, denen ich keinen Ausdruck zu verleihen vermochte. Berührungen waren manchmal nicht zu ertragen, nicht nur wegen der rohen Haut. Eine immer vorhandene melancholische Veranlagung steigerte sich bis zu einer handfesten Depression.

Eine Antwort

Erst im Internet stieß ich auf etwas, das mich plötzlich alles in einem völlig anderen Licht sehen ließ. Es bekam einen Namen. Aspergersyndrom. Austismusspektrumsstörung. Es passte alles. Es wird eine erbliche Komponente vermutet, und tatsächlich ist es auch eindeutig in anderen Familienmitgliedern wiederzufinden. Long story short, im Jahr 2010 bekam ich meine Diagnose von der Poliklinik Köln: Hochfunktionaler Autismus (schließt Aspergersyndrom mit ein). Es war eine Erleichterung. Eine unglaubliche Last fiel von mir ab. Ich musste nicht mehr strampeln um es dann am Ende doch nicht zu schaffen, die gleiche Leistung zu vollbringen, wie meine Mitmenschen, denn ich war schlichtweg nicht wie meine Mitmenschen. Ich wurde milder mit mir, konnte mir selbst verzeihen, wurde geduldiger. Doch auch eine Phase der Bitterkeit folgte, doch schließlich machte ich meinen Frieden mit der Situation. Zu wissen, womit man es zu tun hatte, nahm dem Ganzen die Bedrohung und gab einem ein Gefühl von Sicherheit und Kontrolle. Was die Ursache hierfür war, darüber tappte man im Dunkeln. Körperlich ließ sich nichts nachweisen, nur die Tests für IQ und analytische Fähigkeiten brachten überdurchschnittliche Resultate. Genetisch, hieß es wieder einmal. Aber bis auf einen Hirnscan wurden keine Untersuchungen durchgeführt.

Egal. Ich tat meinen nächsten Schritt und erfüllte mir meinen großen Traum: Ich wagte mich an die Hochschule! Davor hatte ich mich immer gefürchtet, viel zu groß für mich. Doch ich wusste, dass es das war, was ich wollte. Und ich bereue es nicht. Letztenendes ist doch alles weniger bedrohlich, als man zunächst befürchtet, und auch hier wird nur mit Wasser gekocht. Aber es war auslaugend. Die körperliche Erschöpfung nahm ihr Höchstmaß an, obwohl ich sogar zwei Stunden später aufstehen musste als für die Schule. Wie habe ich es damals nur geschafft?! In den Hörsälen setzte ich mich bevorzugt in die letzte Reihe, denn ich konnte es nicht ertragen, jemanden hinter mir sitzen zu haben. Die unterschwellige Geräuschkulisse machte es mir sehr schwer, mich zu konzentrieren. Gesprochene Anweisungen bei den Praktika konnte ich praktisch nicht ausführen, ich brauchte alles schriftlich. Aber der Vorteil: Keine mündliche Noten! Und Lernen in meinem ganz eigenen Tempo. Und teilweise sogar auf Video aufgezeichnete Vorlesungen, die man sich bequem, in Ruhe und zu seiner konzentriertesten Zeit von Zuhause aus ansehen konnte! Jetzt konnte ich zu Höchstleistungen auffahren.

Der Wendepunkt

Tja und dann kam auch noch die Ernährungsumstellung… Auch wenn die vegane Ernährung nicht das Idealste für mich war: Ich fühlte eine deutliche Besserung. Zum ersten Mal achtete ich überhaupt darauf, was ich zu mir nahm! Ich aß mit Sicherheit nährstoffreicher als zuvor, was sich alleine daran zeigte, dass mein chronischer Eisenmangel verschwand. Auch strich ich schnell Zucker und Gluten von meinem Speiseplan. Ich wurde insgesamt fröhlicher und geselliger und deutlich belastbarer (mental wie körperlich). Doch erst das Heilfasten zeigte mir, wozu ich wirklich imstande bin, vom Energielevel meine ich, das ich im Anschluss für eine kurze Zeit hatte. Von morgens bis abends aktiv sein und Dinge erledigen können, ohne ein einziges Nickerchen, bei nur 8 Stunden Schlaf? Wer hätte das für möglich gehalten! Das war doch nicht ich! Bis dahin hatte ich mich schon fast mit dem Gedanken abgefunden, dass ich nie würde einen normalen Beruf ergreifen können, weil die Belastung viel zu hoch für mich wäre. Aber mittlerweile weiß ich, was ich tun muss, um dies dauerhaft zu haben. Es bedeutet nur leider viel Aufwand und extrem viel Disziplin. Und das Problem ist, ich bewege mich auf einem schmalen Grat. Ein Fehler und ich fühle mich wieder für Tage, als hätte mich eine Dampfwalze überfahren.

Wenn man erst einmal erlebt hat, was es heißt, „normal“ zu funktionieren, wird einem erst klar, wie entsetzlich man sich all die Jahre gefühlt hat und es ist nicht zu begreifen, wie man trotzdem all die Dinge hat schaffen können in der Zeit. Auch musste ich feststellen, dass vieles an mentaler Symptomatik rein körperliche Ursachen hat. Spontane Depressive Schübe durch zuviel Fruktose oder eine Unterzuckerung, aggressive Stimmung durch das Ausgesetztsein von Schimmel, heftige Erschöpfung bis hin zu spontanem Einnicken, wenn das Histaminfass überläuft, das Gefühl, als wäre einem das Gehirn frittiert worden, durch zuviel Oxalsäure. Zum Teil fühle ich mich wie nach einem Sonnenstich, wo ich nicht mehr in der Lage war, nur ein richtiges Wort zu schreiben. Erst die Tage hatte ich es wieder. Etwas Falsches gegessen und ca. anderthalb Stunden später ein Gefühl, dass ist dachte, ich hätte einen leichten Schlaganfall. Nicht mehr in der Lage, gesprochene Anweisungen zu verstehen oder eine einfache Kopfrechnung durchzuführen, die Doktorandin im Labor muss ich für beschränkt gehalten haben. Zum Glück weiß ich mittlerweile, dass es nach ca. 2 Stunden nachlassen wird, außerdem werde ich besser darin, Trigger zu meiden. Bisherige Recherchen deuten darauf hin, dass der gereizte Dünndarm über den Nervus vagus falsche Signale an das Gehirn sendet, es obendrein zu einer Permeabilität der Blut-Hirn-Schranke kommt. Für die chronische Symptomatik ist eine chronische, unterschwellige Entzündung des Gehirns verantwortlich (Darm, Haut und Hirn sind eng miteinander verknüpft).

(Edit 2024: Ich bin an meinem Traumziel angelangt. Heute ist es kein schmaler Grat mehr, und ich kann die Zügel sehr locker lassen beim Essen.)

Aber was heißt das jetzt? Bin ich doch kein Autist? Oder ist Autismus durch Ernährung heilbar? Nachdem, was ich bisher errecherchiert und selbst erlebt habe, denke ich, dass es hier wie bei vielen anderen „Zivilisationserkrankungen“ ist: Viele Wege führen nach Rom. Die Ursachen können vielfältig sein, in der Regel kommt einiges zusammen, wie bei der Neurodermitis. Letztenendes muss doch alles in irgendeine Schublade gesteckt werden.

Und dann möchte ich auch trennen: Was ist „Krankheit“ und was ist Charakter?

Ich würde mich nicht als „Kranke“ oder „geistig Behinderte“ bezeichnen. Ich meine, streng genommen war ich es. Vieles an Symptomatik war unglaublich einschränkend für meine Lebensqualität, meine Leistungsfähigkeit und mein körperliches Wohlbefinden. Verdauungsstörungen und andere gesundheitliche Beschwerden sind bei Autisten auch nicht unüblich. Ich denke auf jeden Fall, dass vieles an mentaler Symptomatik nur eine Manifestation eines grundlegenden körperlichen Problems ist. Und dennoch, ich bin und bleibe derselbe Mensch. Introvertiert, still, nachdenklich, am liebsten für mich zurückgezogen. Es ist das, was mein wirkliches Sein ausmacht, das wird mir niemals einer nehmen können. Doch mich besser konzentrieren zu können, mehr Energie zu haben und mehr Freude am Kontakt zu anderen Menschen, das ist in jedem Fall ein großer Gewinn für mich und da sehe ich mittlerweile vieles, was nicht wirklich Teil von mir und meiner Persönlichkeit gewesen ist. Zum Beispiel war ich oft grantig, einfach weil ich übelst überfordert und erschöpft war. Doch es ist nicht Teil meines Wesens.

Doch ich habe auch kein Problem damit, gewisse Aspekte als dauerhaften Teil meiner selbst zu akzeptieren. Zum einen sehe ich es gar nicht so negativ, im Gegenteil. Ich bin sehr zuverlässig und sorgfältig, wenn ich eine Sache mache (auch wenn ich mein eigenes Tempo benötige). Ich bin künstlerisch begabt, sehr kreativ und habe ein Auge fürs Detail (dieser Detailblick verstärkt sich interessanterweise auch in einer durch Nahrung ausgelösten autistischen Phase), was mir in meiner Arbeit als Illustratorin und Fotografin zugute kommt, denn ich habe ein Auge für die besonderen Momente. Es kann aber auch zu einem regelrechten Tunnelblick werden, wo ich den Blick aufs Ganze verliere und mich völlig auf Details einschieße.

Ich bin ein extrem emotionaler Mensch im Sinne, dass ich mir viele Gedanken um andere mache und sehr einfühlsam bin. Ich habe es oft, dass ich es instinktiv spüre (oder vielleicht versteckte Signale erkenne), bevor eines meiner Haustiere oder ein mir nahe stehender Mensch krank wird oder ansonsten etwas nicht stimmt. Und ich habe zugleich eine stark rationale Seite. Ich bin ein Problemlöser und wenn ich mich einmal in ein Problem verbissen habe, lasse ich es nicht mehr los, bis ich zu seinem tiefsten Grund vorgedrungen bin. Wenn es um eine Sache geht, die mich wirklich interessiert, sauge ich jegliche Information auf wie ein Schwamm, aber kombiniere sie zugleich kreativ neu, um vielleicht auf einen neuen Lösungsansatz zu stoßen. In Phasen, wo es mir körperlich nicht so gut geht und ich mich nicht so fit fühle, kann ich auch mal 10 Stunden am Stück auf der Couch liegen und lesen, lesen, lesen und recherchieren. Wer weiß, wem das sonst noch zugute kommen wird! Und waren nicht alles Genies auf die ein oder andere Weise eigenbrödlerische, komische Vögel? 😉

Außerdem lege ich wie alle Aspis großen Wert auf eine bestimmte Sache: Wahrheit. Fakten. Ich kann nicht lügen. Es scheint eine besondere Art der Intelligenz zu erfordern. Keine Ahnung. Mein Gehirn kann es nicht wirklich. Aber deswegen gebe ich mich auch nicht so schnell mit Dingen, die ich lese zufrieden, das erste was ich tue, ist kontroverse Stellungnahmen dazu zu lesen und zu widerlegen wo ich nur kann, denn eine wirkliche Wahrheit muss dem standhalten können. Und ich kann sehr direkt sein und sage ehrlich meine Meinung, womit aber leider nicht jeder zurecht kommt.

Und schließlich ist es so, dass selbst wenn ich eine völlig andere hätte werden können, wäre ich von klein auf anderes ernährt worden, ich jetzt die bin, die ich bin, da sich die entsprechenden Synapsen gebildet und etabliert haben. Und doch denke ich, wieso sollte ich es dabei belassen! Ich habe diese Diagnose nicht haben wollen, um mich jetzt auf einer Krankheit auszuruhen. Nein, ich wollte einfach nur wissen, womit ich es zu tun habe, was mein Ausgangspunkt ist, damit ich dann die entsprechenden Maßnahmen ergreifen kann. Oft heißt das z.B. noch, meinen Tag so zu planen, dass ich Ruhepausen einbauen kann. Oder dass ich mir die Uni gründlichst ausgekundschaftet habe, um mir geeignete Ruheplätze zu suchen, wie die Bibliothek oder eine Sitzgruppe auf einem ruhigen Stockwerk. Auch habe ich immer meinen MP3-Player mit entspannender Musik dabei (oder auch lauter rockiger, wenn ich unschöne Essgeräusche im Zug ausblenden muss), teilweise stecke ich mir im Zug die Stöpsel so ins Ohr, ohne in anzuschalten, wenn ich einfach nur etwas Stille brauche. Und natürlich habe ich mir immer Wohnungen im Dachgeschoss ausgesucht.

Außerdem experimentiere ich mit Nahrungsmitteln, Supplementen sowie Meditation und Konzentrationsübungen, um mehr aus meinem Gehirn herauszuholen. Ich möchte trotz allem soviel vom Leben haben wie möglich und auch ein bisschen Karriere machen. Auch die Videos, die ich angefangen habe zu drehen, sind ein Experiment, ob ich meine Ausdrucksfähigkeit darüber irgendwie verbessern kann. Ich habe schon Leute mit schwerwiegenderen Konditionen ihre Träume erreichen sehen, also, warum sollten nicht auch wir Aspis es schaffen!

Edit Ende 2017: Vieles hat sich nochmal stark gebessert, dadurch dass mein Körper mehr regeneriert ist und ich mehr Resilienz aufgebaut und mehr meine Mitte habe, aber auch dadurch, dass ich noch immer viel dazulerne, was mir gut tut, was für mich funktioniert. Ich brauche meine ganze Kraft nicht mehr dafür vergeuden, eine Maske aufzusetzen, um im Umgang mit anderen Menschen als normal zu erscheinen, ich habe inzwischen das Gefühl, ich selbst sein und alles gut verarbeiten zu können (natürlich nur, wenn ich weiterhin gut für mich sorge). Ich kann mir jetzt arbeits- und reisetechnisch sehr viel mehr zumuten (ohne danach komplett außer Gefecht zu sein, aber ich darf es natürlich nicht übertreiben, ich habe gelernt, mit meinen Energien gut zu haushalten). Auch mein Tagesrhythmus hat sich komplett normalisiert.

ruheLinks

Hier eine großartig gemachte Seite zur Erklärung, wie viele Autisten die Welt wahrnehmen

Test, ob das eigene Kind ins Spektrum fallen könnte

Selbsttests

It´s not what you are that holds you back, it´s what you think you are not. ~ Denis Waitley

10 thoughts on “Ich, der Autist

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