Seit einem Dreivierteljahr bin ich bereits auf den Azoren, mitten im weiten Atlantik.
Fast die gesamte erste Jahreshälfte war geprägt vom Darmkongress, intensiven Vorbereitungen, dem Kennenlernen und Interviewen von sehr interessanten und erfahrenen Menschen auf dem Gebiet des ganzheitlichen Gesundwerdens, der Durchführung meines Onlinekongresses mit ca. 16000 Teilnehmern, was wirklich überwältigend war, dem Schreiben und vertonen meines neuen Darm-E-Books, doch ebenso gab es „offline“ zahlreiche Herausforderungen und Wachstumschancen für mich. Ich befand mich in einer Zeit zwischen Himmel und Hölle, schweren Krisen und den beflügelndsten Erlebnissen.
Als ich Anfang November letzten Jahres zu meiner Reise aufbrach, meinen kleinen Ford Fiesta vollgepackt bis oben hin mit den wichtigsten Habseligkeiten, konnte ich nicht erahnen, was auf mich zukommen würde. Und manchmal denke ich, dass dies auch besser so ist, dass man vor Beginn eines Abenteuers noch nicht die ganzen Details kennt, denn wer weiß, ob man es dann noch machen würde!
Auch das Gesundwerden kann solch eine Abenteuerreise sein, die uns manchmal auf völlig Unbekanntes, Unerwartetes und teilweise sehr Herausforderndes stoßen lassen kann. In alten Erzählungen, Romanen und Filmen wird oft das Thema der Überquerung von Wasser verwendet, das symbolisch für eine Bewusstwerdung, oder die Veränderung der Bewusstheitsebene, ein Erwachen steht. Wie das Fruchtwasser, mit dem wir in diese Welt gelangen, durch einen engen, unangenehmen Kanal, unter Schmerz, mit Geschrei, ziemlich Sauerei, einem gewissen Risiko, und gleichzeitig der größten nur denkbaren Euphorie und Glückseligkeit.
Ich hatte damals das unbestimmte aber starke Gefühl, einem tiefen Ruf zu folgen, als gäbe es hier auf Graciosa für mich eine wichtige Aufgabe zu erfüllen. In meiner alten Heimat hatte ich mein Leben ziemlich in Ordnung gebracht, alles war super stabil, ich hatte meine Routinen, eine Community, konnte meinen Körper in der gesunden Balance halten, mit der Selbstständigkeit ging es gut voran, und doch hat immer etwas gefehlt. Natürlich ein eigener Garten, nach dem ich mich immer so gesehnt habe, und mehr Ruhe und Natur. Und da war noch mehr…
Die Zeit hier war wahrlich eine Achterbahn der Gefühle. Und ich habe enorm viel über mich selbst gelernt, hätte nie erwartet, wie weit und wie lange ich außerhalb meiner Komfortzone überleben und wie sehr sie gestreched werden kann. Als jemand, der es mit schwerem Körpertrauma zu tun hatte, wurde ich oftmals mit wiederaufkommenden Ängsten konfrontiert bezüglich meiner Gesundheit, wenn der Körper anfing, starke Unwohlseinssignale zu senden wie Schmerzen oder niedrigen Blutzucker.
Mein neuer Lebensstil ist hier unten so viel realer und naturnäher, da muss ich mich erstmal dran gewöhnen als Bücherwurm und ehemalige Computerspielzockerin. Mir wurde nun mehrfach vorgeworfen, ich lebe in einer Traumwelt, doch mein Körper sagt etwas anderes. So real hat sich mein Leben, hat sich mein Körper und ganzes Sein noch nie angefühlt. Viele Prellungen, Schnitte und Kratzer zeugen von Abenteuern und der intensiven körperlichen Arbeit, die ich nun meinem Körper im Zuge des Aufbaus meines Lebens hier auf den Azoren abverlange. Seit ich meine Hände für das einsetze, wofür sie geschaffen sind und wofür meine Seele brennt, ist die Neurodermitis an meinen Händen nie zurück gekommen. Der Körper kann nun die Dinge im realen Leben ausleben, muss keine Wunden mehr von innen erzeugen über Entzündungen und Autoimmreaktionen. Ich habe es noch nie in meinem Leben zuvor erlebt, dass ich abends ins Bett falle und innerhalb von zwei Minuten sanft in den Schlaf dämmere. Und sehr erfrischt nach tiefem, durchgehenden Schlaf nach nur 6, 7 Stunden mit dem Sonnenaufgang erwache.
Was mich diese Zeit ebenfalls lehrte, war Loslassen, auch von Erwartungen und Perfektionismus (nicht leicht als Aspi! Aber mit die wichtigste Lektion für mich). Allen voran lehrt mich dies mein Garten, bei dem leider gerade bei mir Anfänger vieles nicht nach Plan verläuft, und man sich von dem ein oder anderen Kürbispflänzchen, Bäumchen oder Hortensienableger, oder auch Hühnerküken verabschieden muss. Aber auch von gewissen Vorstellungen, wie Dinge zu laufen haben, oder was das Beste für andere Menschen ist.
Gleichzeitig auch, wieviel Heilungspotential in uns Lebewesen liegt…
„Dank“ der Coronahysterie (mein Standpunkt als Biologin und Kollateralschädenbetroffene) bin ich hier unten durch meine ganz eigenen Krisen und Herausforderungen gegangen.
In einem z.T. baufälligen Haus in einem Land, in dem ich die Sprache noch kaum spreche. Basics, wie stabiles Internet, ein dichtes Dach, gewärmte Zimmer, bei denen man nicht die eigene Atemluft in Wölkchen beim Ausatmen vor sich sieht und warmes/trinkbares Wasser, waren alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Ich lernte, meine eigene Frau zu stehen und mehr aus dem Kopf ins aktive Handeln und Zupacken zu kommen, aber auch ins Delegieren, eine wichtige Lektion als jemand, der es mit chronischer Erschöpfung zu tun hatte.
Und auch mir im Klaren darüber zu werden, was ich wirklich will, was meine Vision meiner Zukunft ist. Wofür ich einstehen und kämpfen will. Wo ich in meine Kraft kommen und meine Wahrheit durchsetzen zu lernen darf. Und wie sensibel, liebevoll und widerstandslos solch ein „Kampf“ sein kann. Manchmal darf man sich vertrauensvoll hingeben (ohne zu resignieren!) und auf unfassbare Weise beschenkt werden.
Auf den Azoren war ich relativ abgeschirmt vom Coronawahnsinn, doch auch hier gab es kollateralbedingt schwere Schicksalsschläge, was mich enorm tief in die Community brachte, und alle hier enger zusammen schweißte, und mich auf Graciosa erste therapeutische Tätigkeiten aufnehmen ließ.
Ich habe mich extrem verändert hier unten durch die intensive Verbindung mit der Natur, und schwinge jetzt in ihren Rhythmen. Noch vor einem halben Jahr hätte ich nicht glauben wollen, wie sehr wir von den Mondphasen beeinflusst werden, doch jetzt, wie ich hier heute bei Vollmond schreibe, der Umschwung zu einer energetisch neuen Phase, kann ich es nicht mehr leugnen (gerne schreibe ich bei Interesse in Zukunft ein paar Artikel zum biologischen Hintergrund dazu).
Ich atme und esse die Insel hier, das Weidefleisch und -Butter, frischen Fisch, das Gemüse meines Gartens. Ich bin Teil von ihr geworden. Auch Teil einer herzlichen und wunderbaren Community, wie eine große Familie mit stets offenen Türen und in einer Art überschaubarem Umfeld, in der ich als Hochsensitive gut zurecht komme. Und wunderbare andere hochsensitive Menschen kennen lerne, die aus ihrer schweren Vergangenheit und Krankheit den größten Triumph gemacht und selbst zur Medizin für ihre Mitmenschen geworden sind. Ich erlebe, wie für mich gesorgt wird in Zeiten der Not, und darf gleichzeitig meine Gaben geben.
In den letzten Wochen und Monaten habe ich jeden Tag so genommen, wie er kommt, bin mit dem Flow gegangen, war möglichst im Hier und Jetzt und habe versucht, nicht zu viel über Vergangenheit und Zukunft nachzudenken, denn es war mir schlichtweg nicht möglich.
Es hat mich weit über meine Grenzen hinaus gebracht, sehr alte Wunden getriggert und dank großartiger Coachings und viel Zeit in der Natur endlich heilen lassen. Die Zeit des Abstands durch das Schließen der Grenzen war wie eine Einladung, von außen auf gewisse Dinge zu blicken und mir ein paar ernsthafte Fragen zu stellen, wer ich inzwischen bin und wie meine Zukunft auszusehen hat. Was jetzt wirklich zählt. Was wirklich meine Wahrheit ist. Was ich mir wert bin. Wo ich blind in Sackgassen gesteuert bin. Was mein Bauchgefühl mir sagt. Was die Botschaft meines Herzens ist. Für was und wen mein Herz wirklich schlägt.
Ich bin mit meinen eigenen Begrenzungen, eingeschränkten Moralvorstellungen und falschen Glaubenssätzen konfrontiert worden, mit meinen größten Schwächen und Neurosen, durfte aber auch in mir schlummernde Kräfte und großen Mut finden. Alleine daran, wie ich mich immer weiter rauszuschwimmen traue, Abenteuer wie verrückte Klettertouren und Surfen mitmache und unfassbar viel mehr an Essen vertrage (und bei alldem (meistens) das Gefühl habe, die Sache unter Kontrolle zu haben), sehe ich, wie die Kapazität meines Nervensystems sich vergrößert. Mein Körper beginnt, intensiven Gefühlen mehr zu vertrauen.
In den zehn Geboten der Bibel heißt es, wir sollen uns kein Bild von Gott machen. Mein Gottesbild wird jeden Tag auf die Probe gestellt und komplett umgeworfen. Die profansten Erlebnisse, voller Schweiß, Schmutz, Staub, Tränen, Blut, voller Schmerz, Frust, aber auch Genuss werden für mich zu den spirituellsten Erfahrungen überhaupt, die mich richtig im Hier und Jetzt ankommen lassen.
Ich kann jetzt vollends JA zu meinem Hier-Sein auf diesem Planeten sagen und beobachten, wie auch die letzten Schwachstellen an meinem Körper zu heilen beginnen. Und gleichzeitig akzeptiere ich es gelassen, dass dies hier eine stete Reise ist, die niemals endet.
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